Die Kirche
in den Weinbergen
Eine kleine Kapelle im Kaasgraben, an der Grenze der beiden Vororte Sievering und Grinzing, war der schmerzhaften Muttergottes geweiht und hieß im Volksmund Schwalbenkapelle.
Zur Zeit der Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 wurde eine Frau in dieser Gegend von umherstreifenden Türken verfolgt. Sie floh, mit ihrem Kind auf dem Arm, um nicht in die Hände dieser grausamen Feinde zu fallen. In ihrer Not rief sie zur Muttergottes um Hilfe und Rettung. Schließlich versteckte sie sich hinter einem schützenden Busch. Kaum hatte sie sich so den Blicken der Verfolger entzogen, ließ sich ein Schwarm Schwalben auf dem Busch nieder. Da waren auch schon die Türken da. Als sie an dem Busch vorbeikamen, hinter dem sich die Frau versteckt hielt, flogen plötzlich die Schwalben auf. Die Türken aber liefen am Versteck vorüber, denn sie dachten, wo sich Vögel in so großer Zahl niederlassen, kann kein Mensch versteckt sein. So wurden die Mutter und ihr Kind gerettet.
Sobald die Türken abgezogen waren, pilgerte die Frau oft zu dieser Stelle, wo sie die Fürbitte Marias vor so großer Gefahr bewahrt hatte. Sie betete vor einem Bild der schmerzhaften Muttergottes, das sie in der Nähe dieses Busches im Wald angebracht hatte. Später stand ein Marterl an dieser Stelle. Im Jahre 1882 entstand dort die erste kleine Kapelle, erbaut vom Fuhrwerksbesitzer Koth- bauer. Er ließ eine fast lebensgroße Skulptur der Schmerzhaften Muttergottes dorthin übertragen. Diese war früher im siebenten Gemeindebezirk, bei der St. Ulrichskirche, im Hof des sogenannten Hauses „Zum kleinen Sped“ aufgestellt und wurde viel verehrt.
1892 erbaute Kothbauer wegen des großen Zustroms der Gläubigen eine größere Kapelle, die fast 200 Personen fassen konnte. Sie wurde am 22.Oktober 1892 eingeweiht. Die Chronik vermerkt, daß tausende Wallfahrer zu diesem Gotteshaus pilgerten, das ab 1903 von den Patres Oblaten des Hl.Franz von Sales seelsorglich betreut wurde.
Nun dachte man daran, eine große Wallfahrtskirche zu bauen. Der Großkaufmann Stefan Esders griff diesen Gedanken auf. Sein Sohn war von schwerer Krankheit genesen. Die Genesung schrieb Esders der Fürsprache der Muttergottes zu und er versprach, die neue Kirche zu bauen. Die Pläne sollten die beiden Baumeister Kupka und Orgelmeister erstellen. Am Montag, den 26. April 1909, fand die Feier der Grundsteinlegung der Kirche unweit der alten Schwalbenkapelle statt. Ein Jahr später, am 30. April 1910, erfolgte die Einweihung.
Samstag den 30. April 1910 vormittags wurde die neue Kirche zu Maria Schmerzen im Kaasgraben, Wien XIX eingeweiht. Der Feier wohnte, in Vertretung des Kaisers, Erzherzog Ferdinand Karl bei. Die Weihe nahm Weihbischof Dr. Gottfried (Godefried) Marschall vor. Der ganze Bezirk Döbling nahm an der schönen Feier teil. Von der Grinzinger Allee zweigt links der Fahrweg zur weit sichtbaren Kirche ab, die das noch unverbaute Weingartengelände mit ihrem einfachen traditionellen Stile beherrscht. Vom Kirchturm wehen die kaiserlichen, päpstlichen und Wiener Farben, Feuerwehr und Polizei bilden mit zahlreichem Publikum Spalier bis zu den beiden Seitenstiegen, die zum Mittelportal führen.
Nach 3/4 10 Uhr bewegte sich der festliche Zug der Geistlichkeit durch den Mittelgang zur Kirchenpforte und erwartete dort den Stellvertreter des Kaisers. Unter dem volltönenden Klang der Glocken fuhr Punkt 10 Uhr die Hofequipage vor. Erzherzog Ferdinand Karl begrüßte den Weihbischof Dr. Marschall und wurde von diesem zu dem Ehrenplätze im Presbyterium geleitet.
Nach dem Hochamt ließ sich Erzherzog Ferdinand Karl die Architekten Franz Kupka und Gustav Orgelmeister, k.u.k. Hofbaumeister, Bildhauer Abel und PaintI und den Maler Rudolf Fuchs vorstellen. Nach 11 Uhr war die Feier, zu der die gesamte Bevölkerung der Gegend erschienen war, zu Ende. Nachdem der Erzherzog unter den Klängen der Volkshymne die Kirche verlassen hatte und in die Stadt zurückgekehrt war, besichtigten die Festgäste und die Bevölkerung die neue Kirche unter Führung des Provinzials P. Lebeau.
Durch den Bau der neuen Kirche ist ein bisher unbewohntes Gelände der Besiedlung erschlossen worden. Es wird nicht lange dauern und der nur ganz schütter bewohnte Kaasgraben wird einen stattlichen Bezirksteil von Döbling bilden.
Die Kirche wurde im neubarocken Stil nach Plänen des Architekten Franz Kupka und des Hofbaumeisters Gustav Orgelmeister in den Jahren 1909/10 gebaut. Die hufeisenförmig ansteigenden Stiegenaufgänge zum Kircheneingang tragen an der inneren Seite die Steinreliefs eines künstlerisch gestalteten Kreuzwegs der Bildhauer Abel und Paintl.
Unterhalb des Plateaus auf dem die Kirche steht, befand sich bis 1969 die Krypta, auf deren Altar die Statue der Schmerzhaften Muttergottes aus der alten Schwalbenkapelle aufgestellt war. Die Glasfenster der alten Kapelle, die an den Gründer Kothbauer und den Besuch der Erzherzogin Marie-Valerie und ihres Gemahls Erzherzog Franz Salvator erinnerten, wurden ebenfalls in die Krypta eingebaut, fielen jedoch am 12. März 1945 einem Bombenangriff zum Opfer. Hinter der Krypta, die 1969 zu einem Pfarrsaal umgebaut wurde, befand sich ein Umgang, in dem man die Votivbilder und Weihegegenstände der alten Kapelle aufbewahrte. Die eine Seite des Umgangs steht heute der Jugend als Freizeitraum zur Verfügung, während die andere Seite Begräbnisstätte der Patres ist. In der Mitte des Umgangs befindet sich das Grabmal der Familie Esders. Die eindrucksvolle Gestaltung aus Laaser Marmor zeigt den auferstandenen Christus, von Engeln umgeben. Das Werk wurde 1924 vom Bildhauer Hans Schwathe geschaffen, (Bild Seite 5).
Im Vorraum der Kirche, auf der linken Seite, erinnert ein in die Wand eingelassenes Marmor-Medaillon an den Stifter der Kirche, Stefan Esders.
Der Kirchenraum ist hell und freundlich. Proportion und Gliederung sind klar und einfach. Den figuralen Innenschmuck schufen die Bildhauer Abel und Paintl. Der schönste Schmuck der Kirche ist die Marienstatue aus Marmor auf dem Hochaltar. Sie erhebt sich über dem mit bunten Marmorsäulen geschmückten Gehäuse des ehemaligen Tabernakels. Das Altarbild dahinter zeigt Maria verehrende Engel und ist eine Arbeit des Malers Rudolf Fuchs. Rechts vom Hochaltar steht der hl. Franz von Sales und links der hl. Bernhard. Über dem Eingang zur Sakristei befindet sich die Statue des hl. Königs Ludwig IX. von Frankreich und über der Sakramentskapelle die Statue des hl. Kaisers Heinrich II. Die drei letztgenannten Heiligen sind die Namenspatrone der Brüder von Stefan Esders, dem Stifter der Kirche.
Am linken Seitenaltar wurde jene lebensgroße, barocke Skulptur der Schmerzhaften Muttergottes aufgestellt, die schon in der alten Schwalbenkapelle und später in der Krypta stand.
Das Altarbild des rechten Seitenaltars stellt Franz von Sales dar. Davor befindet sich das Taufbecken.
Die Kreuzwegbilder wurden von Sophie von Hohenberg, der Gemahlin des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand gespendet. Das Thronfolgerpaar fiel 1914 dem Attentat von Sarajewo zum Opfer.
Rechts vom Haupteingang befindet sich die Gedenkkapelle der verstorbenen Oblaten des Hl. Franz von Sales und links vom Haupteingang die Donauschwabenkapelle, die auch als Beicht- und Ausspracheraum dient.
Der Raum links neben dem Hochaltar wurde 1990 zu einer Sakramentskapelle umgestaltet, in der das Allerheiligste auf bewahrt wird. Dieser beheizbare Raum bietet 25 Personen Platz. Diese Kapelle ist der Gebetsraum der Oblaten des hl. Franz von Sales, die als Gemeinschaft im ehemaligen Pfarrhaus wohnen, leben und beten. An Wochentagen feiert in dieser Kapelle die Ordensgemeinschaft ihren Gottesdienst, zu dem aber alle eingeladen sind.
Am 1. Juni 2016 hat Christoph Kardinal Schönborn, der Erzbischof von Wien, unserer Kirche die Erlaubnis erteilt, im Sinne der Bulle „Misericordiae Vultus“ zur Ankündigung des „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“ vom 11. April 2015, Art. 3, eine Heilige Pforte der Barmherzigkeit in der Kirche „Maria Schmerzen im Kaasgraben“, 1190 Wien, in der Zeit vom 1. Juni bis 20. November 2016, zu errichten.
Nahezu 50 Jahre, nämlich vom Zeitpunkt der Errichtung, bis in die frühen sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, war die Kirche Ziel zahlreicher Wallfahrergruppen. An Marienfeiertagen wurden bis zu viertausend Pilger gezählt. Messen und Segenandachten sorgten für das geistige, Gastwirtschaften in unmittelbarer Nähe der Kirche für das leibliche Wohl.
1930 wurde im Pfarrhaus das „1. Missionsmuseum Wiens“ eröffnet. Aus den Missionsgebieten der Patres Oblaten, hauptsächlich aus Afrika, war eine große Zahl von Gebrauchs- und Kunstgegenständen, Waffen, Tierfellen und sogar eine präparierte Löwengruppe zu sehen, außerdem zahlreiche Fotos, die das Leben in den Missionsstationen nahebrachten. Bis 1938 besuchten 50.000 Interessierte das Museum. Während des Krieges und der Nachkriegszeit gingen Teile der Sammlung verloren und diese wurde schließlich nach Dachsberg in O.Ö. verlegt. Ein schwerer Schlag traf die Pfarrgemeinde im März 1938. Unmittelbar nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland, wurde Dr. Hans Karl Zeßner-Spitzenberg, ein aufrechter Katholik und Kämpfer für ein freies Österreich, während der Feier der Hl.Messe in der Krypta verhaftet. Er ließ als erster Österreicher am 1. August 1938 im KZ Dachau sein Leben. Eine Gedenktafel an der Außenseite des Gotteshauses weist auf dieses Ereignis hin.
Am 1. September 1939 erhob Kardinal Innitzer die Wallfahrtskirche, die bis dahin zur Pfarre Grinzing gehört hatte, zur Pfarrkirche. 1942 mußten drei der vier Kirchenglocken abgeliefert werden. Sie dienten als Rohstoff für die Waffen Produktion.
Am 12. März 1945 richtete eine Luftmine, die in der Ettingshausengasse detonierte, schwerste Schäden am Gotteshaus an. Diese konnten zum größten Teil erst in den Jahren 1950 bis 1955 behoben werden. Als Folge des schlechten Bauzustandes der Kirche waren und sind immer wieder kostspielige Renovierungen notwendig.
1969 mußten die beiden baufälligen Stiegenaufgänge abgerissen und neu aufgebaut werden. Im Rahmen einer großen Renovierungsaktion wurden überdies drei neue Glocken angeschafft, eine Bankheizung installiert, die aus dem Jahre 1924 stammende Orgel, die ebenfalls schwere Bombenschäden aufwies, generalsaniert und im Raum der ehemaligen Unterkirche ein großer Pfarrsaal gebaut.
Sehr große Kosten erforderte der Kampf gegen das immer wieder hangseitig eindringende Grundwasser, das im Pfarrsaalbereich große Schäden verursachte. Eine Außenrenovierung und die räumliche Erweiterung des Pfarrhauses, das 1985 Sitz des Provinzialats des Ordens wurde, waren noch nicht das Ende der Investitionen.
In den Jahren 1993 bis 1995 erfolgte eine umfassende Innenrenovierung. Die Kirche bekam einen neuen Fußboden aus Solnhofner Marmor. 1995 wurde die unreparierbar gewordene Orgel aus dem Jahre 1924 abgetragen und durch ein neues Werk ersetzt. Das neue Instrument aus der Werkstatt von Orgelbaumeister Gerhard Hradetzky (Krems) verfügt über 24 Register auf Hauptwerk, Rückpositiv (in der Emporenbrüstung) und Pedalwerk verteilt. Das Klangbild der mechanischen Schleifladenorgel steht ganz in der Tradition der süddeutsch-österreichischen Barockorgeln, ohne aber wesentliche Errungenschaften späterer Orgelbaugenerationen zu verleugnen. Besonders reizvoll ist das Gegenspiel von Hauptwerk und dem optisch, wie auch akustisch exponierten Werk in der Brüstung der Empore.
Für die höchst notwendige Turmrenovierung mußte die Kirche im Jahr 2009 sechs Monate lang eingerüstet werden. Wenn auch die Zeit der zahlreichen Wallfahrten seit etwa 1960 vorüber ist, so hat sich dieses Gotteshaus als Hochzeitskirche schnell einen Namen gemacht, ja mehr noch, sie ist zur beliebtesten Hochzeitskirche Wiens geworden. Im Zusammenhang mit den vielen Trauungen, die hier stattfinden, steht auch die relativ große Anzahl der jährlichen Taufen. Sehr viele Paare, die im Kaasgraben geheiratet haben, lassen auch ihre Kinder hier taufen.
Diese Kirchenbeschreibung ist auch als Broschüre erhältlich. Manche Bilder sind ihr entnommen. Text: DI Manfred Wawra.